Seeing Hands

Nachdem wir in Battambang wiederholt an dem Schild "Seeing Hands Massage" vorbeigelaufen sind und im Reiseführer stand, dass die Organisation blinden Menschen in Cambodia eine Ausbildung und einen Job als Masseur ermöglicht, war es klar: da muß eine Massage her. Wir sind ja soziale Menschen.

Auf der uns gereichten Visitenkarte stand "Shiatsu-Massage 60 Minuten".  Keine Ahnung was das ist , aber es hörte sich  gut und professionell an. Blieb die Frage: nackig oder angezogen. Alles aus oder U-Hose an? Öl oder gibt es "Dreckgribbele".

Na ja, die blinden Masseure und Masseurinnen können mich ja nicht sehen - dann ist es mir egal.

Die Auflösung kam als wir Baumwoll-Leibchen und Pumphose in Sträflingsblau überreicht bekamen. Und schon gings auf die superweiche  Liege. Sonja äußerte noch so was wie "soft" und ich dachte "bist du ein Mann oder eine Memme?".

Also Klappe halten und mal schauen was da so auf einen zukommt.

Erst nach der nun bevorstehenden Knochenbrecher-Aktion las ich bei Wikipedia nach, dass Shiatsu "Fingerdruck" auf japanisch heißt und mit vollem Körpereinsatz des Masseurs gearbeitet wird.

Nichtsahnend gab ich mich also meinem Schicksal hin und überließ mich der Obhut meines kambodschanischen blinden Masseurs der mich zuerst scanmäßig abtastete um mich zu lokalisieren.

Dann begann die Behandlung: Schultern, oberer Rücken... wunderbar, aber der Schmerz nahm zu. Irgendwie wußte der Folterer wo meine empfindlichen Punkte sind und genoß es offensichtlich mich genau an diesen Stellen wiederholt zu piesacken. Aber irgendwie tat es auch gut - vor allem wenn der Schmerz nachließ, weil er an einem anderen Körperteil drastisch zunahm. Unterer Rücken, Wirbelsäule. Kopf.

Als er aber versuchte meine Schädeldecke auf der Stirnseite einzudrücken, war ich kurz davor doch meine Stimme zu erheben - zumal Sonja schon mehrfach durch ihr Stöhnen eine etwas weniger peinigende Behandlung bei sich erflehte.

Aber so schnell bekommt er mich nicht klein. "Reiß dich zusammen - den Triumpf, dass ich klein beigebe, ermögliche ich ihm nicht.

Also die Marter weiter erdulden ... Und an etwas schönes denken. Dummerweise fällt einem in so einem Moment nichts dementsprechendes ein.

Leider hatte ich auch mein Zeitgefühl verloren und dachte, dass schon längst Halbzeit sein müsste. Weit gefehlt denn diverse Körpertteile waren der Folter ja noch nicht unterworfen worden. Beine, hintere Oberschenkel...

Höhepunkt des Schmerzes waren dann aber die Waden. Warum kann man an den Teilen eigentlich soooo empfindlich sein. Kurzzeitig dachte ich, dass er jetzt gleich zwei Teile meines Schienbeins in den Händen halten würde. Aber das weitaus größere (mentale) Problem bestand darin, dass mir bewußt wurde, dass ich ja noch eine zweite Wade besaß und diese noch nicht das Märtyrium erduldet hatte. Schlagartig wurde mir bewußt dass ich diesen höllischen Schmerz nochmals erdulden muss.

Aber in meinem Leid sagte ich mir: "Beim zweiten Mal wird er sicherlich abkürzen und es nicht so ausfühlich machen - so würde ich es auf jeden Fall tun".

Doch ich lag mit meiner Vermutung daneben. Völlig daneben. Wie ein schweizer Uhrwerk wurde jeder Handgriff, jeder Druckpunkt, jedes Kneten konsequent ausgeführt. Immerhin wusste ich schon was auf mich zukommt.

Zum Schluss, nachdem alle Körperteile in Mitleidenschaft gezogen waren, gab es noch einige Verschränkungen, Körperteileverknotungen und Dehnungen ungeahnten Ausmaßes - und das Wunder geschah: Es machte knacks und mein blockiertes Ilio-Sakral-Gelenk war wieder da wo es eigentlich sein sollte. Wunderbar. Befreiend.

Das Gefühl als die Massage dann definitiv beendet war ist unbeschreiblich ... gut. Man fühlt sich wie neu.