The Real Story

Okay. Bevor die Gerüchteküche sonstige Geschichten und Mythen produziert, kommt hier nun "The Real Story":

Also Sonntag vor einer Woche bekam Sonja hohes Fieber und massive Übelkeit. Zunächst ja mal nichts Ungewöhnliches bei einer Indienreise. Nachdem aber das Fieber und die Übelkeit in den nächsten Tagen eher zugenommen hatten, war klar, dass am 4. Tag ein Arzt her muß oder wir das Krankenhaus in Jaisalmer aufsuchen sollten.

Nach einer kurzen Rücksprach mit Manu, dem Hotelbesitzer, war klar, dass er uns mit dem Jeep zum privaten Krankenhaus fahren würde.

Gesagt- getan. Dort angekommen erwarteten uns hunderte  Inderrinnen und Inder, die die gleiche Idee hatten. Also ging Manu nach indischer Manier im Vollkontakt an den Anmeldeschalter und hatte trotz einer langen Schlange nach kurzer Zeit das notwenidge "Consultion-Paper" gekauft.

Jetzt aber wohin mit Sonja und der Eintrittskarte? Im Krankenhaus war nichts in Englisch angeschrieben, sondern alles nur noch in Hindu.

Aber Manu lief nun zu Hochform auf und fühlte sich als unser Gastgeber verantwortlich, dass die Ausländer schnellstmöglich einen Arzt zu sehen bekämen.

Hinein in den Wartesaal. Dort dichtes Gedränge von rund 70-80 Personen. Sitzend, stehend, liegend auf dem Boden...

Manu manövrierte uns beide an allen vorbei direkt in ein Behandlungszimmer. Dort erblickten wir einen Arzt (stets in Indien an dem Stetoskop zu erkennen), der gerade am behandeln von 4-5 Patienten in seinem Zimmer war. Er nickte uns zu, dass wir auch noch hereinkommen sollten. Kein Problem.

Man muss wissen, dass es in Indien keinerlei Privatspäre gibt. Alles ist  Gemeinschaftsangelegenheit: der Arztbesuch, das Essen, das Bargeldabheben und, und, und

Ohne Murren wurden wir vorgelassen und Sonja hatte ihre erste indische Konsultation - aufgrund der mangelnden Englischkenntnisse mit Übersetzung durch Manu. Kurze Schilderung der Symptome, Abhören, Puls und Blutdruck.

Fazit: es werden weitere Untersuchungen notwendig und zwar eine Blutuntersuchung im Labor.

Also wieder zur Anmeldung zurück. Wieder einen Schein gekauft, der zur Laboruntersuchung berechtigt, Labor gesucht und mit Hilfe von Manu gefunden.

Der Anblick des Labors erstaunte mich doch etwas: Eine Zentrifuge gefühltes Baujahr 1970, ein Mikroskop mit antikem Zeitwert und ein Uralt-PC. Immerhin nahm der Labormensch eine frische Spritze und Kanüle nachdem er mit einem alten Fahrradschlauch das Blut gestaut hatte.

Dann warten. Als einzige Ausländer werden wir schnell zu willkommenen Schaulustigen. Manu sagte uns er komme in einer Stunde wieder - so lange würde das mit der Untersuchung dauern. Dauerte nicht so lange und so machten wir uns zu zweit auf den Weg zu dem Arzt. Lernfähig ging ich mit Sonja im Schlepptau - ihr ging es zunehmend schlechter - direkt in das Behandlungszimmer de Arztes. Worauf eine weitere Anamnese gestellt wurde, was zur Folge hatte, einen Labortest für Malaria und einen für Dengue-Fieber kaufen zu müssen.

Im Behandlungszimmer versagte dann Sonja der Kreislauf, so dass sie erst einmal auf der Liege Platz nahm. So ganz ernst nahm der Arzt dies aber nicht. Die weiteren Behandlungen der anderen anwesenden Patienten ging statt dessen ungehindert weiter. Sonja stabilisierte sich und ich bat um einen Rollstuhl für sie, dem auch sogleich entsprochen wurde.

Selbst ist der Mann und so ging ich ebenfalls im Vollkontakt an den entsprechenden Schalter um das Dokument für die Labortests per Barzahlung zu erwerben.

Nun wieder diesmal mit  Rollstuhl, samt Gattin und der zum Rollstuhl dazugehörigen indischen Begleitperson (ein zartes kleines Wesen weiblicher Herkunft, das nicht in der Lage war den defekten Rollstuhl samt Ausländerin zu schieben) zum Labor.

Wieder warten und dann das Ergebnis vom Laborchef: Dengue-Fieber. O.k. was heißt das nun. Also wieder direkt zum Arzt und ihm den Test gezeigt. Irgendwie war das wie Krankenhaus-Monopoli.

Inzwischen tauchte auch Manu wieder auf, um das weitere Vorgehen zu dolmetschen. Eine Behandlung in Jaisalmer ist nicht möglich. Wir müssen nach Jodhpur, das rund 4,5 Stunden entfernt liegt. Und wie? Manu hatte schon einen Plan, da es Krankentransporte nicht gibt und somit eine Fahrt mit einem Taxi anstand. Er würde uns natürlich selbstverständlich fahren.

Manu rief einen Mitarbeiter an, der ein Taxi (PKW) vorbeibrachte und den offenen Jeep wieder zum Hotel fuhr.

Als ich gerade im Begriff war mit Sonja im Rollstuhl die Eingangsrampe hinunterzufahren, sackte Sonja nach Vorne zusammen und wurde bewußtlos. Ich konnte sie gerade noch halten und sah in ihr Gesicht: weit aufgerissene verdrehte Augen, blutleeres Gesicht, offener Mund, entgeisteter Blick.

Erster Gedanke in meinem Schock: sie wird mir doch nicht hier in meinen Armen sterben. Zweiter Gedanke: ein Gebet zum Himmel und nachdem mein Englisch-Vokabel-Zentrum im Hirn versagte einige laute Schreie nach Hilfe und dem Doktor. Der durch mich verursachte Tumult lockte sogar den Arzt aus seinem Zimmer.

Sonja wurde auf die Krankenstation gebracht und erhielt sogleich Sauerstoff. Die Sauerstoffmaske war ursprünglich einmal transparent, trotz Sonjas aschphaler Hautfarbe sah sie eher bräunlich und undurchsichtig aus. Ich denke, dass sie noch nie gereinigt wurde. Egal hier geht es um ein Notfall. Das Bett zeigte ja auch deutliche Gebrauchsspuren des Vorgängers...

Dann logisch: es muß ein EKG her. Das vergilbte Gehäuse des Meßgerätes versprüte allerdings wenig Kompetenz.

Also alle Doktoren, inzwischen waren vier an der Zahl anwesend, denn es handelte sich schließlich um die einzige Ausländerin im gesamten Krankenhaus, Abstand nehmen. Hereingetragen wurde eine "spanische Wand" als Sichtschutz, da nun die Krankenschwestern bei Sonja den BH öffnen mussten, um die Elektroden anzubringen. T-Shirt wieder runter, Sichtschutz entfernen und alle Männern konnten wieder näher herantreten. Und die Werte betrachten. Großes Palaver.

Nachdem sich Sonja wieder stabilisiert hatte, war klar: wir müssen so schnell wie möglich nach Jodhpur in ein größeres Krankenhaus mit dem nötigen Fachwissen und den entsprechenden Möglichkeiten.

Schnell alles gepackt im Hotel, zum Glück die Rechnung mit Kreditkarte (das ist eher selten möglich) bezahlen können und schon ging eine 4 1/2 stündige Horrorfahrt los. Der Straßenzustand war nicht weniger als brutal zu bezeichnen.

Nachdem dann Sonja während der Fahrt wieder das Bewußtsein verlor, reagierte ich schon etwas professioneller und legte sie in eine mehr oder weniger stabile Seitenlage auf die Rückbank. Den Kopf auf meinen Schoß - stets den Blick auf den Zustand von Sonja gerichtet.

Nach Einbruch der Dunkelheit erreichten wir dann endlich das private Krankenhaus in Jodhpur.

Aber auch hier: erstmal 10.000 Rupies in bar oder keine Behandlung. Zum Glück hatte ich das Hotel mit Karte bezahlt, so dass ich noch flüssig war.

Der Arzt der Notaufnahme kümmerte sich sogleich um Sonja, legte Infusionen, gab Schmerzmittel und Antibiotika und verfrachtete sie in ein Einzelzimmer.

Also fast Einzelzimmer, denn in Indien muß immer ein Angehöriger oder mehrere für die Versorgung, Verpflegung, Körperhygiene und das Einkaufen der Medizin rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

Als gelernter Ex-Zivildienstleistender war ich natürlich dazu prädestiniert und sofort auserkoren. Mir fiel allerdings in dem Einzelzimmer nur eine 1,4 m lange Pritsche zu - ohne Bettzeug. Das bedeutete die nächsten Tage und Nächte würden hart werden - körpertechnisch und körperhygienisch.

Das Einzelzimmer entpuppte sich so nach und nach als Klein-Guantanamo: Minzgrün gestrichen, Neonlicht, kein Fenster und eine Naßzelle, die ihrer ursprünlichen Wortbedeutung eine ganz neue Dimensionen verlieh: dort herrschten tatsächlich 24 Stunden täglich 100% Luftfeuchtigkeit - ohne Lüftungsmöglichkeit.

Die hygienischen Zustände in diesem privaten ( Jodhpurs bestem) Krankenhaus waren von zweifelhafter Natur. Spritzen und Injektionsnadeln wurden in der Regel 5-6 mal verwendet. Immerhin nur für Sonja! Infusionsleitungen wurden mit Klebeband abgedichtet...Händedesinfektion oder Handschuhe konnte ich im ganzen Haus nicht sichten.

So entwickelte sich bei Sonja zunehmend eine Aversion gegen die Zustände und die Behandlung (obwohl Ärzte und Pflegepersonal immer freundlich waren). Ich versuchte stets auszugleichen und Sonja zum Essen und Trinken zu motivieren, um den Heilungsprozess zu unterstützen. Den Krankheitsverlauf hatten die Ärzte nach einigen Tagen im Griff - blieb das Problem mit den Blutwerten und der Frage, ob eine Bluttransfusion notwendig werden würde.

Sonja´s Thrombozyten waren so niedrig, dass die Gefahr von inneren Blutungen bestand. Die eingeschalteten deutschen Ärzte bestätigten eine aktuelle Transportunfähigkeit.

Somit war klar, dass Sonja erst einmal in Jodhpur austherapiert werden musste und dann zur Weiterbehandlung sowie zur Erholung nach Deutschland fliegen können wird. Ein weiterer Verbleib in Indien war wenig ratsam und konnte sich Sonja auch gar nicht mehr vorstellen.

Nachdem die indischen Ärzte dann am Samstag grünes Licht gaben und eine Entlassung aus dem Krankenhaus für den Sonntag prognostizierten, war klar, dass wir erst einmal nach 5 Tagen im indischen Krankenhaus nach Deutschland zurückfliegen müssen.

Zum Glück hatten wir ganz viel Unterstützung aus der Heimat und so konnten wir heute nach einer 31-stündigen Reise in Frankfurt landen.

Jetzt wird erst einmal zu klären sein, was behandlungstechnisch noch notwendig ist. Und Sonja wird sich sicherlich 2-4 Wochen erholen müssen.

Alles andere wird sich in dieser Zeit zeigen. Auf alle Fälle gehen wir wieder auf Reisen.